John Milios
Im Berliner ZeitungAm 25. Januar wird in Griechenland gewählt. Wenn das Linksbündnis Syriza gewinnt, so wird gewarnt, drohen Chaos und ein Euro-Austritt Griechenlands. Dem widerspricht Jannis Milios, Wirtschaftsprofessor in Athen und wichtigster Wirtschaftsberater von Syriza-Chef Alexis Tsipras.
Die Welt schaut auf Griechenland. Dort wird am 25. Januar gewählt. Bislang liegt das Linksbündnis Syriza vorn, das den strengen Sparkurs des Landes ablehnt. Kommt Syriza an die Macht, so wird gewarnt, drohen Chaos, Krise und ein Euro-Austritt Griechenlands. Dem widerspricht Jannis Milios, Wirtschaftsprofessor in Athen und wichtigster Wirtschaftsberater von Syriza-Chef Alexis Tsipras: „Unsere Politik nützt nicht nur Griechenland, sondern ganz Europa.“
Herr Professor Milios, angesichts Ihrer Politikvorschläge bezeichnet man Sie als Populisten. Sind Sie das?
Was ist ein Populist? Für mich ist das jemand, der so tut, als vertrete er die Bevölkerung, tatsächlich aber Politik für die herrschenden Eliten macht. In Europa bezeichnet man derzeit gern Politiker als Populisten, die nicht dem neoliberalen Sparkurs folgen, der als alternativlos gilt.
In diesem Sinne sind Sie Populist?
Mir gefällt der Begriff nicht. Für mich sind Populisten eher Menschen die behaupten, dass die Griechen immerzu Ferien machen, nicht arbeiten und betrügen und dafür die Deutschen zahlen lassen.
Der Großinvestor Joerg Sponer von Capital Group sagte nach einem Treffen mit Ihnen: „Syriza ist schlimmer als Kommunismus, die Kommunisten hatten wenigstens einen Plan. Syriza bedeutet Chaos.“
Seit Mai 2012 treffen wir uns mit vielen privaten Geldgebern. Einige lehnen uns ab – das sind die, die auf das schnelle Geld aus sind. Wir erhalten aber auch viel Zustimmung von jenen Investoren, die ihr Geld langfristig anlegen und daher unser Programm zur Wiederbelebung der griechischen Wirtschaft für aussichtsreich halten. Diese Anleger kommen vielfach aus Ländern außerhalb Europas, wo man das drastische Sparprogramm der Euro-Staaten für ein Risiko für die Weltwirtschaft hält.
Wie sieht Ihr Programm aus, das Europa in Schrecken versetzt?
Unser Programm hat vier Punkte. Erstens wollen wir die humanitäre Krise bekämpfen. Dafür werden wir 300 000 arme Haushalte gratis mit Strom versorgen und Nahrungsmittel an Bedürftige verteilen. Zudem gibt es viele leerstehende Wohnungen und immer mehr Obdachlose. Ihnen helfen wir, indem wir die Miete mit drei Euro pro Quadratmeter subventionieren. Rentner, die weniger als 700 Euro haben, sollen 13 Renten pro Jahr erhalten anstatt zwölf. Vor den Sparprogrammen waren es 14.
Das kostet Geld…
Natürlich. Allerdings sollten Wohnung und Essen in Europa heutzutage eine Selbstverständlichkeit sein. Aber unser Programm kostet noch mehr. Denn wir müssen das Problem der privaten Überschuldung lösen: Der Schuldendienst der privaten Haushalte darf künftig nicht mehr als ein Drittel des Einkommens betragen. Schulden, die darüber hinausgehen, werden eingefroren, bis der Schuldendienst wieder geleistet werden kann. Zudem planen wir eine Reorganisation des Staates: Darunter fallen Maßnahmen wie die Verminderung der Ministerien von 18 auf zehn oder die Bekämpfung der Korruption und Steuerhinterziehung.
Die Korruption zu bekämpfen versprechen alle Regierungen – mit mäßigem Erfolg.
Das stimmt. Der Grund dafür liegt in den herrschenden Parteien, die Griechenland schon seit Jahrzehnten regieren. Sie sind fester Bestandteil des Systems der Korruption und Vetternwirtschaft. So existiert eine Liste mit 24 000 Personen, die in den letzten Jahren jeweils mehr als 100 000 Euro am Finanzamt vorbei außer Landes gebracht haben. Innerhalb von zwei Jahren hat die Regierung nur 407 dieser Fälle untersucht. Private Sender zahlen nichts für die Nutzung öffentlicher Frequenzen. All das zeigt: Bisher fehlt der Wille zur Bekämpfung der Korruption. Die herrschenden Parteien sind eng mit den großen Oligarchen und Konzernen verknüpft. Wir nicht.
Wie will Syriza die griechische Wirtschaft in Gang bringen?
Dazu gehört, dass wir den Rückgang der Löhne stoppen, indem wir den Mindestlohn wieder von 586 auf 750 Euro pro Monat erhöhen und die Flächentarifverträge stärken. Sklavenartige Arbeit muss verschwinden.
Aber Lohnerhöhungen verteuern Arbeit, was die griechische Wettbewerbsfähigkeit unterminiert.
Das ist die in Europa derzeit herrschende Ideologie. Tatsächlich sind die europäischen Volkswirtschaften kapitalintensive Ökonomien. Mit einem Niedriglohn-Wettbewerb wird Europa nicht weit kommen. Das Problem Europas ist nicht die Lohnhöhe, sondern mangelnden Investitionen, mangelhafte Infrastruktur, auch Bürokratie und widersprüchliche gesetzliche Regelungen. Wir müssen den Produktionsapparat und die Produktions- bedingungen modernisieren, damit die Produktivität wieder steigt.
Aber niedrigere Löhne helfen den Unternehmen.
Die mangelnde Nachfrage erwürgt die Wirtschaft. Wäre ich Investor, ich würde derzeit nicht in Griechenland investieren wollen. Außerdem gibt es verschiedene Interessen in einer Gesellschaft, nicht nur die Unternehmen.
Wie wollen Sie Ihr Programm finanzieren?
Zunächst will ich festhalten: Die bisherige Politik ist gescheitert. Griechenlands Wirtschaftsleistung ist ein Viertel geringer als vor der Krise und den Sparprogrammen. Es muss einen Politikwechsel geben.
Wo soll das Geld herkommen?
Unser Programm kostet im ersten Jahr knapp zwölf Milliarden Euro…
Die griechische Regierung sagt, es sei viel mehr – bis zu 17 Milliarden.
Das wird die Regierung immer sagen, sie ist unser politischer Gegner. Wir errechnen zwölf Milliarden. Drei Milliarden bekommen wir aus der Eintreibung von Steuerrückständen, die insgesamt auf 70 Milliarden gestiegen sind. Die aktuelle Regierung schätzt, dass dem Staat durch Steuerhinterziehung und Öl-Schmuggel jährlich über zwölf Milliarden Euro entgehen – drei Milliarden davon wollen wir zurückholen. Das ist realistisch. Weitere drei Milliarden wollen wir aus dem Fonds für die Bankenstabilisierung nehmen und drei Milliarden aus EU-Struktur und -Investitionsfonds.
Das Geld aus den Strukturfonds und aus dem Bankenfonds kommt von der EU. Sie brauchen also die Zustimmung der europäischen Regierungen. Gleichzeitig kritisieren Sie die Sparauflagen für Griechenland und wollen die vereinbarten Bedingungen für die vergebenen EU-Hilfen neu verhandeln. Die EU lehnt das bislang ab. Was wollen Sie tun?
Über unser Programm wollen wir nicht verhandeln, denn das ist Sache nationaler Politik und eine Frage der Demokratie. Wenn die Menschen unser Programm wählen, setzen wir es um.
…finanziert mit Geld der EU.
Aber unser Programm ist im Interesse der EU. Denn: Der Sparkurs hat Griechenland ruiniert, die Wirtschaft ist drastisch geschrumpft, die Arbeitslosigkeit liegt bei 26 Prozent. Viele international renommierte Ökonomen halten den Sparkurs für falsch.
Sie malen schwarz. Die griechische Wirtschaft wächst bereits wieder. Im dritten Quartal legte das Bruttoinlandsprodukt um 0,7 Prozent zu, das war Euro-Zonen-Rekord.
Angesichts eines Produktionsrückgangs von rund 30 Prozent ist das nicht beeindruckend. Und nebenbei gesagt ist dieses Wachstum von 0,7 Prozent ein statistischer Effekt. Denn das ist das reale Wirtschaftswachstum, die Inflation ist abgezogen. Nun herrscht in Griechenland Deflation, die Preise sinken um ein Prozent. Berücksichtigt man dies, so zeigt sich: „Real“ produzieren die Unternehmen zwar mehr, tatsächlich aber nehmen sie weniger ein, weil die Preise fallen. Die Katastrophe setzt sich also fort. Niemand kann Interesse daran haben, dass der Sparkurs weitergeführt wird. Es heißt immer, Griechenland sei ein Fass ohne Boden. Wir wollen einen Boden einziehen.
Ohne Verhandlung mit der EU werden Sie nicht weit kommen. Denn Griechenland mag vielleicht Ihr Programm finanzieren können. Aber dieses Jahr braucht das Land nach Schätzungen 16 Milliarden Euro neue Kredite, um Zinsen zu zahlen und Alt-Schulden zurückzuzahlen. Um diese Kredite zu bekommen, brauchen Sie die EU.
Wir sind verhandlungsbereit. Es geht uns darum, die Sparauflagen abzumildern, um Griechenland wieder Luft zum Atmen zu geben. Nach geltender Vereinbarung muss Griechenland die nächsten Jahre hohe Überschüsse im Staatshaushalt erzielen und weitere Kredite aufnehmen. Und wozu dienen diese Überschüsse und neuen Kredite? Um die aufgelaufenen Schulden zu bedienen! Das ist ökonomischer Unsinn. Griechenland erhält Milliarden an Hilfen und spart sich kaputt, nur um einen Schuldenberg zu bedienen, der immer weiter wächst.
Daher fordern sie einen weiteren Schuldenerlass für Griechenland. Fast 80 Prozent der griechischen Schulden liegen bei öffentlichen Gläubigern wie den EU-Staaten, also letztlich beim Steuerzahler. Warum sollte der für Griechenland zahlen?
Weil es keinen anderen Weg gibt. Auch Deutschland wurde 1953 ein Großteil der Kriegs- und Vorkriegsschulden erlassen, um einen Neustart zu ermöglichen. Das wollen wir auch – und nicht nur wir. Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat dafür plädiert, Griechenlands Schulden zur Hälfte zu streichen.
Bislang wird Ihr Antrag von den EU-Staaten abgelehnt.
Am Ende wird es keine Frage von „Ja“ oder „Nein“ sein. Es geht nicht um Tsipras gegen Merkel. Es ist ein sehr viel komplizierteres Problem mit sehr vielen Spielern und Interessen. Ich bin optimistisch, dass wir eine Lösung finden werden.
Womit wollen Sie Ihre Verhandlungspartner überzeugen? Die Bundesregierung ließ kürzlich wissen, ein Austritt Griechenlands aus dem Euro sei für die Euro-Zone verkraftbar. Der Grexit scheint kein Drohpotenzial mehr zu haben.
Es gibt einen Unterschied zwischen einer Kriegsdrohung und einer Kriegserklärung. Vor den Wahlen kann jeder sagen, was er will. Nach den Wahlen wird dann verhandelt. Ein Austritt Griechenlands aus dem Euro würde vielleicht kurzfristig die Euro-Zone nicht destabilisieren. Langfristig aber ändert sich dadurch der Charakter der Währungsunion. Beispiel USA: Wenn Kalifornien zahlungsunfähig wird, ist dadurch die währungspolitische Einheit der USA nicht gefährdet. Anders in der Euro-Zone: Tritt Griechenland aus, würde ein Präzedenzfall geschaffen. Die Unumkehrbarkeit des Euro wäre offiziell dementiert. Das untergräbt prinzipiell den Bestand der Währungsunion. Wie gesagt, das kann niemand wollen.
Dennoch: Inoffiziell wird in Deutschland gewarnt, man dürfe Syriza keine Zugeständnisse machen. Andernfalls würden andere hochverschuldete Länder ebenfalss benfZugeständnisse bei Spar- und Reformauflagen fordern.
Ich halte das nicht für eine Bedrohung, sondern für eine Chance für Europa. Es braucht ja nicht nur in Griechenland eine Abkehr vom bisherigen Kurs. Auch in anderen Ländern. Auch in Deutschland. Der Zwang zu Sparsamkeit, Lohnsenkungs-Konkurrenz und Wettbewerbsfähigkeit hat auch der deutschen Arbeitsbevölkerung nicht gutgetan. Die Deutschen sollten sich auf Syriza freuen.
Das Gespräch führte Stephan Kaufmann.